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Verfasst am: Fr Apr 18, 2008 5:35 pm Titel: Als die Mauer fiel |
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1. Kapitel der Geschichte- Rest zu finden unter lulu.com
Die Flucht und der Neuanfang im ?goldenen Westen?
Vielleicht waren es die Träume von der Heimat, aus der Marianne einfach fortgerissen worden war, damals 1956, als kleines Kind, die sie viele Jahre immer wieder geträumt hatte, und die sie nun drängten die Plätze ihrer Kindheit wiederzusehen. Vielleicht um etwas wiederzufinden, was damals unheilbar verloren ging?
Wie war es denn damals gewesen? Ganz geheimnisumwittert, im Dun-keln brachte ihre Mutter die paar Habseligkeiten, die ihnen der Krieg ge-lassen hatte, im Leiterwagen, Abend für Abend zu Bekannten, denen sie versuchte zu vertrauen, und denen sie es sagen musste, dass sie für immer fortgehen würden. Ja, wem konnte man in diesem Staat noch ver-trauen? Das Richterehepaar, das vernarrt in die kleine Marianne war und ahnte, was ihre Mutter vorhatte, bedrängte sie immer wieder, die Wahr-heit zu sagen. Aber sie, mit ihren 8 Jahren blieb eisern. Sie sagte nichts. Es war ihr klar, dass wenn sie es täte, die Mutter ins Gefängnis käme und sie von diesen Leuten, die sich dringend ein Kind wünschten, adoptiert würde. Nein, sie spürte die Gefahr und schwieg. Sie erlebte ja mit, dass ihre Mutter verhaftet worden war, weil sie RIAS Berlin hörte, sich nicht für die Mitgliedschaft in der SED entscheiden wollte, sie verstand, dass sie
endgültig aus der ?Ostzone? fliehen sollten. Marianne war sehr klein für ihr Alter, aber verstandesmäßig sehr reif. Sie erkannte schon viele Zu-sammenhänge.
Sie war aber auch traurig, musste sie doch ihre Freundin Anna für immer verlassen, mit der sie durch dick und dünn gegangen war. Natürlich war sie auch neugierig auf diesen ?Westen? von dem alle träumten. Da soll es alles geben, da sind die Leute reich und frei, man erzählte sich ja immer, wie gut es dort sei.
Frühmorgens gingen sie dann fort, ließen die alte Wohnung, in der sie und ihre Mutter geboren wurden und aufwuchsen mit all den Möbeln, aber vor allen Dingen mit den Erinnerungen an die geliebte Oma und die geliebte Großtante, die ein Jahr zuvor kurz hintereinander gestorben waren, zurück.
Marianne hatte nur einen kleinen Rucksack auf dem Rücken gehabt, aus dem ihr Teddy rausguckte, die Mutter eine Reisetasche, mehr durften sie nicht dabei haben. Offiziell fuhren sie einen Onkel in Hannover besuchen, der krank wäre, aber eigentlich gab es den gar nicht mehr. Der war längst gestorben.
Sie wollten zu einer alten Freundin ihrer Mutter, nach Dorsten in Westfa-len. Dort würden sie erst mal aufgenommen.
Die Zugfahrt war voller Spannungen gewesen. An der Grenze wurden die Leute im Abteil des alten D-Zuges bleich. Sie hatten wirklich Angst vor der Grenzkontrolle. Eine Frau mit Pelzmantel wurde aus dem Zug geholt, man untersuchte sie genauer. Die anderen durften weiterfahren. Als das überstanden war, wurden die Leute auf einmal gesprächig und erzählten, was sie nun vorhatten, keiner wollte zurück! Einige zeigten das Westgeld und sie bewunderten es, weil es aus Silber war, nicht aus Blech, wie das schäbige Ostgeld.
In Wanne-Eickel angekommen, wurden sie von dieser Freundin namens Marga empfangen. Und ? die hatte tatsächlich ein Auto. Marga besaß einen VW-Käfer. Noch nie hatten sie in einem Auto gesessen. Das war toll.
Vier Wochen blieben sie bei Marga und ihrem Mann, die auch keine ei-genen Kinder hatten und Marianne verwöhnten. Nur, ihre Mutter war ein schwieriger Mensch und zerstritt sich mit Marga, und sie zogen um zu den Nachbarn.
Nach weiteren vier Wochen wurden sie auf einem Bauernhof aufgenom-men, bei einer schlesischen Familie, die Aussiedler waren und sich eh nur zwei Zimmer zu vier Personen teilten. Aber damals war es eben nor-mal, dass man sich gegenseitig half.
Die Mutter fand im katholischen Westfalen keine Arbeit und keine Woh-nung. Als Sachsen, was man ja sofort hörte, wurden sie wie Fremde be-handelt und außerdem waren sie auch noch evangelisch!
Die kleine Dorfschule, die Marianne damals besuchte, brachte sie dem katholischen Glauben näher. - Evangelisch war sie ja nur auf dem Tauf-schein. - Sie ging jeden Sonntag mit in die katholische Kirche, das prägte sie.
Dann kam die Übersiedelung nach Düsseldorf. Dort fand sich Arbeit und ein möbliertes Zimmer.
Die Mutter verdient bei der Autounion als Schreibkraft gerade mal 200 Mark im Monat, so wechselte sie zur Behörde. Lange wohnten sie dann in einer Baracke, die man für Behördenangestellte aufgebaut hatte. Es gab so wenige Wohnungen, es war noch soviel kaputt und tausende von Flüchtlingen und Aussiedlern suchten Wohnung. In der Baracke hatten
sie ein Leerzimmer mit Zentralheizung, das war schon ein Luxus. Bad? Man ging einmal wöchentlich ins Hallenbad, wo Wannenbäder eingerich-tet waren, sonst wusch man sich in einem Waschtisch, der in der Kü-chenecke im Zimmer stand. Das Wasser wurde auf einem Zweiflammen-kocher heiß gemacht. Ja, wie primitiv das alles noch war. Erstmals schafften sie sich ein paar eigene Möbel an, auf Kredit, ein Sozialamt und eine Möbelkammer gab es nicht, aber in jedem Kaufhaus konnte man auf Kredit kaufen.
Ihr einziges Vergnügen waren Operettensendungen, die abends nach dem Essen, im Radio liefen. Im Dunkeln lag sie dann neben ihrer Mutter auf der Bettcouch und träumte sich in diese Operettenwelt.
Freundinnen fand sie nicht. Die Schulkameradinnen waren ihr gegenüber herablassend, weil sie ja ein Flüchtlingskind war und das hörte man auch an ihrer sächsischen Aussprache. Da war nur die Kleine von der Kantine nebenan, auf die sie aufpassen sollte, nachmittags nach der Schule. Dafür durfte sie jeden Tag in der Kantine essen und war ja auch selbst unter Kontrolle. Sie war ja erst 10 Jahre alt. Gegen einen Hort hatte ihre Mutter was, denn wenn sie auch arm waren, ihre Mutter, als eine ?höhere Tochter?, versuchte mit allen Vorurteilen gegen die ?Unterschicht? be
stückt, ihren Status trotzdem aufrecht zu erhalten. Jedenfalls sollte Mari-anne nicht in den Hort, um nicht diesen Kindern ausgesetzt zu sein. Sie durfte auch nicht auf der Straße spielen, weil da die ?Straßenkinder? Ein-fluss auf sie hätten nehmen können. Marianne verstand viel mehr als ihre Mutter, dass sie hier in der Fremde selbst wie Unterschicht behandelt wurden. ?Haste nix, biste nix.?
Aus dem ehemals selbstbewussten und fröhlichen Kind, in der Freiberger Körnerschule die Klassenbeste, war ein schüchternes Mädchen gewor-den, das abseits stand und in den Leistungen ziemlich nachgelassen hatte. Sie musste ein fünftes Volksschuljahr absolvieren, damit die Leis-tungen genügten, um an der Realschule angenommen zu werden.
Nein, Marianne war diese Übersiedlung in den Westen gar nicht gut be-kommen.
So hatte das damals angefangen, vor nun 34 Jahren. Wie arm waren sie gewesen.
Vier Jahre dauerte es bis sie endlich eine richtige Wohnung fanden. Ma-rianne war inzwischen zwölf und ging putzen, um sich ihr Zimmer zu möblieren. Und sie war stolz darauf, sich das alles selbst angeschafft zu
haben. Als Kind einer alleinerziehenden Mutter hatte sie es wirklich nicht leicht gehabt. So sehnte sie sich oft nach der Heimat, nach der verstor-benen Oma, die sie immer so liebevoll umsorgte und nach der Freundin Anna, der sie immer noch schrieb. Ja, sie träumte all die Jahre immer wieder davon an die Orte ihrer frühen Kindheit zurückzukehren.
Die Reise
1989: Die innerdeutsche Grenze verwehrte Marianne, wie gesagt, 34 Jahre lang die Rückkehr in ihre sächsische Heimat.
Jetzt aber, wie ein Wunder, ist sie plötzlich durchgängig geworden, seit ein paar Tagen. Marianne hält?s nicht aus, sie muss hin!
Trotzdem innerlich stumpf, seltsamerweise ohne große Vorfreude, fährt sie los, getrieben, obwohl sie weiß, dass sie eigentlich nichts Konkretes erwartet, an dem sie Vorfreude festmachen könnte.
Sie hat auch wenig Fahrpraxis, erst seit einem Jahr besitzt sie den Füh-rerschein, trotzdem nimmt sie das Risiko auf sich, allein die 600 km auf
DDR-Straßen zu fahren, denn sie will endlich ihre alte Heimat wiederse-hen. Sie traut sich!
Die Autofahrt geht glatt. Sie findet sich sehr gut zurecht.
Die grüne Mittelgebirgslandschaft, wenig Städte, viele Dörfer, die sie vom Sauerland an scheinbar unendlich durchquert, zeigt ihr wieder einmal, wie schön Deutschland ist.
Sie ist gespannt auf die innerdeutsche Grenze.
Das Benzin wird knapp. Sie beschließt noch vor der Grenze abzufahren und zu tanken.
Plötzlich, zwei Uniformierte! Erschrocken sagt sie verwirrt, sie habe sich wohl verfahren. Höflich zeigen sie ihr den Weg, fragen nicht nach Papie-ren, lassen sie einfach durch. Erst später nimmt sie die Wachtürme seit-lich wahr, die vor ein paar Monaten noch dem Töten dienten.
?Kein Ausweis? Höflichkeit??, geht es ihr durch den Kopf, ?unbegreiflich, ist das nicht wie ein Wunder??
Die Straßen hinter der Grenze sind voller Schlaglöcher. Leute in schäbi-ger Kleidung gaffen neugierig nach ihrem Auto. Sie ist tatsächlich in der DDR! Nach 34 Jahren das erste Mal und einfach so reingeschlittert!
Bei einem Gasthof hält sie an, sucht nach der Toilette. Findet kein Licht! Unfreundlich macht der Wirt, nach vermehrtem Nachfragen, endlich die Beleuchtung an. - Vorsintflutlich! -
So, weiter geht?s.
Ohne eine Grenze wahrzunehmen befindet sie sich plötzlich wieder im ?Westen?. Die Grenze muss hier wohl mitten durchs Dorf gegangen sein und ist nun nicht mehr sichtbar.
Sie tankt. Nun will sie?s aber wissen. Also, los nach Herleshausen!
Grenzposten West winkt ab, grüßt freundlich, keine Papiere, Durchfahrt durchs Niemandsland, dann, Grenzposten Ost: Zu sechs Mann, wie die Orgelpfeifen aufgereiht, stehen sie nebeneinander. Stumm, mit starrer Miene, ohne Kontrolle, lassen sie sie passieren. Einfach durchgefahren? Sie kann?s gar nicht fassen? Gespenstisch mutet sie das an! - Die Ver-gangenheit ist tot! Wirklich tot! -
Kurz hält sie bei der ersten Raststätte hinter der Grenze an. Viele wech-seln hier Geld. Sie wartet lieber ab. Schnell eine Tasse Kaffee, Beine vertreten und weiter. Noch 265 km. Die Zeit drängt.
Eisenach: Liebliche Landschaft, historische Stätte, aber diese schreckli-chen Trabantenbauten! Schade!
Sie muss darauf achten, die nächste Intertankstelle nicht zu versäumen.
Kreuz Hermesdorf: Tanken! Sie fährt herunter von der Autobahn... und... finde den Rückweg nicht... bis Gera also Landstraße!
Herrliche Landschaft! Kurorte! Freundliche Menschen zeigen ihr den Weg.
Endlich, die Autobahn! - So etwas wäre bei uns nicht mal als Stadtauto-bahn zugelassen. - Schlaglöcher, überall Flickstellen, Risse, keine Raststätten, Rastplätze ohne WC, Auffahren aus dem Stand! Gefährlich! Klar, hier sind mehr als 100 km/h tödlich.
Sie fährt, fährt und fährt. Es wird ihr lang, sie ist ziemlich geschafft. Der Rücken schmerzt. Endlich 18.00 Uhr: Ausfahrt ?Hainichen?. Schlechte Beschilderung, wieder verfahren!
Nette Menschen zeigen ihr den Weg. Diese Freundlichkeit berührt sie.
Da ! Freiberg, noch 13 km! - 13 km trennen sie also nur noch von der Stadt, an die sie sich 34 Jahre wehmütig erinnerte. ? Sie ist aufgeregt.
Die Landschaft ist grün, Wiesen, glückliche Kühe, Schafe, Hühner. Bewaldete Berge durchquert sie.
- In solch einem schönen Land hat sie also ihre Wurzeln. Hier haben ihre Vorfahren gelebt. Hier ist sie geboren. Hier gehört sie eigentlich hin!? Das war ihr bisher gar nicht so bewusst! ?
Plötzlich eine Trabantenstadt: ?Freiberg-Wasserberg!? - Das gab?s doch damals gar nicht. War alles Wald. Schade! -
-Hier muss Waltraud wohl wohnen. - Sie fragt Passanten. Keiner kennt die Straße. Man schickt sie in ein anderes Neubaugebiet. Keinem ist die Straße bekannt. Was nun? Der Bahnhof! Sie muss zum Bahnhof! Dort gibt es sicher Taxis. Taxifahrer, die kennen sich aus!
Als sie den Berg hinunter fährt, liegt plötzlich vor ihr das ?Johannisbad?.- Das Schwimmbad ihrer Kinderzeit!- Jetzt weiß sie, wo sie ist. - Die Wege ihrer Heimatstadt ist sie in Gedanken immer wieder gegangen. Alles sieht
noch genau so aus. Es hat sich nichts verändert. 40 Jahre ist hier die Zeit stehengeblieben. Sie macht das glücklich. -
Unbegreiflich! Sie weiß genau, wo?s zum Bahnhof geht. Ganz unroman-tisch, fährt sie die Straßen der Kindheit mit dem Auto entlang und kann so das erste Wiedersehen gar nicht genießen. Das tut weh.
Der Bahnhof macht einen jämmerlichen Eindruck, wie verfallen er ist. In der Bahnhofskneipe gaffen alle zu ihr herüber.
Die Kellnerin fragt die Gäste nach der bewussten Straße und... man drängelt sich darum, behilflich zu sein. Die Kellnerin schenkt ihr sogar einen Groschen fürs Klo.
Nun findet sie sich zurecht. Sie kommt endlich an.
Da bin ich, Waltraud!!!
Kein großes Wiedersehen! Etwas Verlegenheit, aber doch Herzlichkeit.
Nein, es ist nicht schön nach Hause zu kommen, wenn die Menschen, die das ausmachten, nicht mehr da sind. Wie damals sind nur die Häu-ser, aber Heimat, das bedeutet, dass jemand auf dich wartet, der dich lieb hat.
Anna
copyright Antje Di Bella
Zuletzt bearbeitet von Gast am Sa Nov 01, 2008 5:16 pm, insgesamt einmal bearbeitet |
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Google
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Verfasst am: Titel: Sponsored Link |
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Gast
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Verfasst am: Sa Apr 19, 2008 4:09 pm Titel: Anna's Geschichte |
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Entspricht wohl der Wahrheit. Meine Cousine hat ähnliches erlebt, ist
aber via Ungarn geflüchtet, getrennt von Mann und Kindern....
Zum Glück ist das Vergangenheit und alle Deutschen sollten glücklich
sein, dass wir wieder zusammen gehören. |
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lesoleil entdeckend
Anmeldedatum: 11.03.2008 Beiträge: 1458
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Verfasst am: Mi Apr 23, 2008 10:21 am Titel: Mauer |
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Hallo Anna,
Deine Geschichte finde ich einfach toll und ebenso die Art wie Du sie erzählt hast. Super!!!
Übrigens in Deinem Ort habe ich von 68 bis 69 gewohnt und hin und wieder besuche ich diese Stadt, denn dort habe ich Heimweh aber auch Fernweh kennengelernt.
Liebe Grüße lesoleil |
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Gast
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Verfasst am: Fr Mai 23, 2008 12:51 pm Titel: Als die Mauer fiel |
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Danke lesoleil,
die Geschichte ist als Kurzgeschichte zu kaufen in XXXXX
Schön. dass Du hier so aktiv bist.
Liebe Grüße
Anna |
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